Wiener Zeitung vom 20.06.20
Hallo ihr Lieben,
Es freut mich, wieder einen aktuellen Medienbeitrag zur Sexarbeit in Österreich mit euch zu teilen, in dessen Rahmen auch ich meine Position einbringen durfte. Sexworker.at ist durch Christian Knappik und mich vertreten, PiA durch Christine Nagl (Beratungstelefon: 0664 25 44445). Auch die Beratungsstelle Sophie von der Volkshilfe kommt zu Wort. Neben einer Darstellung der individuell höchst unterschiedlichen Bewältigungsstrategien der Coronakrise durch Sexarbeitende hatten wir in der Wiener Zeitung Gelegenheit, unsere Warnung vor der Einführung von staatlich verordneten Schutzmaßnahmen einzubringen.
Kernpunkte dieser Warnung:
Sexarbeitende sind die Profis für hygienisches Arbeiten und damit für eine Minimierung des Risikos von Ansteckung. Alles andere würde dazu führen, dass man sehr schnell keine Sexarbeiterin mehr ist. Der Staat hat sich nicht in die konkrete Ausgestaltung der Sexarbeit einzumischen, die zwischen 2 Menschen hinter verschlossenen Türen stattfindet. Werden Vorschriften für Sexarbeitende erlassen, wie sie ihre Arbeit am Kunden zu erbringen haben, führt dies zu:
- Strafen, und zwar nur für Sexarbeitende – für wen sonst? Sexarbeitende werden dadurch noch vulnerabler, als sie durch die Stigmatisierung ohnehin schon sind. Wir brauchen Rechte, nicht noch mehr Pflichten, unerfüllbare Vorschriften, Kontrolle! Jede/r Sexarbeitende gehört in seinem/ihrem Recht bestärkt, jene Schutzmaßnahmen anzuwenden, die genau ihm oder ihr für genau seine oder ihre Form von Sexarbeit richtig erscheint – denn er/sie ist der Profi dafür! Eine weitere Folge der Vorschriften wäre:
- Erleichterung von Einschüchterung, Erpressung und Gewalt gegen Sexarbeitende: “Wenn du mich anzeigst / wenn du mir nicht ohne Gummi oder gratis zu Diensten bist, behaupte ich einfach, dass du die Coronavorschriften nicht einhältst…”), da die Einhaltung nicht kontrollierbar und das Gegenteil nicht beweisbar ist. Vernaderungen durch ungute, abgewiesene, abgeblitzte Kunden, gegen die man sich kaum wehren kann, wäre also Tür und Tor geöffnet. Und schließlich sind staatlich verordnete Schutzmaßnahmen ein:
- Angriff auf das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Selbstbestimmung gibt es immer nur als 100%-Ausführung. “A bissl Selbstbestimmung” existiert nicht. Was kommt dann als nächtes? Nur noch die Missionarsstellung? Oder ein Verbot genau der Missionarsstellung, da die Gesichter sich dabei zu nahe sind? Verbot von Analverkehr? Verbot von Küssen? Verbot von Lecken? Verbot von Blasen? Verbot von sonstigen Sexpraktiken, die den Entscheidenden (die natürlich wieder mal KEINE Sexarbeitenden sind) aus irgendwelchen sonstigen Gründen nicht in den Kram passen? Wer garantiert uns dabei, dass nur medizinische und nicht moralische Vorstellungen handlungsleitend sind?
Ich weiß, manche sind der Meinung, dass man in dieser Situation nun gesprächsbereit sein sollte, dass man diplomatische Abstriche machen sollte. Dazu sage ich dezidiert: NEIN! Wenn wir jetzt Beschränkungen unserer Rechte, und noch dazu so prekärer und wichtiger Rechte wie jene auf sexuelle Selbstbestimmung, zulassen – dann kommen wir in Teufels Küche. Diese Rechte gehören gepflegt, gehütet und verteidigt als unsere höchsten Güter. Jedes Zulassen eines Eingriffs in diese Rechte markiert den Beginn des Verderbens. Ich prophezeie, dass wir nach derartigen Zugeständnissen in kürzester Zeit das nordische Modell (Sexkaufverbot) in Österreich haben. Unsere Gesinnungsfeinde sehen ja: Ach, es geht doch, die lassen ja mit sich machen. Die lassen sich sogar ihre grundlegenden Rechte wegnehmen. Dann können wir doch auch mal eben ihre Kunden kriminalisieren. Und das darf nicht passieren!
Die ganze Diskussion zu Hygiene- und Schutzmaßnahmen in der Sexarbeit kommt ja initial vom deutschen BeSD (Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen) und wird kontrovers geführt. Zum besseren Verständnis sollte man sich vor Augen führen, dass der BeSD von vielen Seiten als betreiberlastig kritisiert wird, dh Betreiber von Rotlichteinrichtungen scheinen ein größeres Gewicht im BeSD als Sexworker zu haben, auch wenn die grundlegende Zielrichtung des Verbands eine andere – solidarische – war/ist. Wenn man dies als gegeben nimmt, ist es natürlich nur allzu verständlich, dass der Verband sich um Zugeständnisse an die Politik bemüht, damit die vertretenen Rotlichteinrichtungen möglichst rasch wieder aufsperren können. Aus meiner Sicht ist das jedoch ein ausbeuterischer Deal auf Kosten der SexarbeiterInnen. Betreiber vermitteln auf diese Art und Weise ein Bild, dass sie schon drauf aufpassen werden, wie die Sexworker sich anstellen. Für die Solidarität zwischen Betreibern und SW ist das nicht gerade förderlich. Die Interessen der Sexworker sind dadurch NICHT vertreten. Bei der Einmischung in die konkrete Ausgestaltung der Sexarbeit hört sich jede Solidarität auf, und eine Beschneidung der Selbstbestimmung ist durch NICHTS zu legitimieren.
Soweit zu einigen Hintergründen. Daneben möchte ich noch zwei Unschärfen des Artikels ausleuchten:
Die Kontrastierung “vom Straßenstrich bin hin zu Sexarbeiterinnen, die selbstbestimmt sind” ist eine künstliche, vorverurteilende. Das würde bedeuten, dass SWs, die am Straßenstrich arbeiten, per definitionem nicht selbstbestimmt sind, was schlicht eine falsche, verallgemeinernde Zuschreibung und eine Festschreibung des diskriminierenden Opferstigmas ist. Die SW auf dem Straßenstrich brauchen genauso wenig Mitleid oder Almosen, sondern Rechte. Wie wir alle.
Weiters ist es unrichtig, dass Betreiber von Rotlichteinrichtungen die Honorare der SW auf ihr Konto vereinnahmen und ihnen damit unzugänglich machen. Das wäre ja Diebstahl/Betrug. Gemeint wäre damit vielmehr die leider oftmals vorkommende Praxis gewesen, dass Betreiber Steuern aller bei ihnen tätigen SW über eine einzige Steuernummer ans Finanzamt abführen, obwohl das rechtlich nicht vorgesehen ist. Das führt dazu, dass SW nun keinen Anspruch auf den Härtefallfonds haben.
Hier nun aber zum vollständigen Artikel:
Wiener_Zeitung_2020-06-20_AUSZUG
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