Nachbetrachtung zur Hurenkartei
Nachdem ich meinen eigenen Artikel aus dem Jahr 2019 nun noch mal gelesen habe, möchte ich noch ein paar Begleitumstände und Fakten zur Pflichtuntersuchung darlegen:
Österreich ist das letzte Land weltweit, in welchem diese Praxis noch stattfindet. Sie ist ein Relikt aus der Monarchie, als man die Huren für die Verbreitung der Syphilis verantwortlich machte. Zuletzt wurde eine ähnliche Untersuchungsvorschrift in Ungarn als menschenrechtsverletzend abgeschafft.
Das Bundeskanzleramt verlinkt auf seiner eigenen Webseite eine Gesundheitsfolgenabschätzung aus dem Jahr 2019, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Pflichtuntersuchung NICHT gesundheitsförderlich ist.
Die Pflichtuntersuchung führt dazu, dass gerade in Österreich ungeschützter Verkehr im Paysex vermehrt nachgefragt wird, was die Gesundheit aller Beteiligten gefährdet. Unter Kunden herrschen großes Unwissen und Fehlinformation über die Inhalte dieser Untersuchung. So glauben viele Kunden, der Staat garantiere ihnen eine gesunde Sexarbeiterin, weshalb sie auf ein Kondom verzichten können. Dieser Irrtum ist fatal. Und er ist tagtäglich in Freierforen nachzulesen.
Das Anmeldesystem für Untersuchungstermine wird regelmäßig unter Zuhilfenahme diverser technischer Tricks unterwandert, um Termine gegen Entgelt an Sexworker verkaufen zu können. Genau das, was man verhindern will, nämlich Ausbeutung, passiert also dadurch.
Wir Sexworker bekommen auf den Gesundheitsämtern keine Behandlung und auch keine Befunde! Hat man Beschwerden im Intimbereich, bekommt man dort keinen Termin zwischen den vorgesehenen Terminen im 6-Wochen-Intervall, sondern man wird auf den nächsten regulären Termin verwiesen: “Sie sind in 3 Wochen wieder dran.” Ob man also mit Beschwerden weiterarbeitet, ist letztlich ohnehin wieder der Selbstverantwortung überlassen. Wird eine Erkrankung festgestellt, wird nur der “Deckel” entzogen. Braucht man eine Behandlung, muss man zum eigenen Arzt.
Die Pflichtuntersuchung ist jedoch vor allem eins: Stigmatisierend. Sie verstärkt das ohnehin schon vorhandene Hurenstigma. Wenn zwei Erwachsene sich einvernehmlich für Sex entscheiden (und alles andere ist keine Sexarbeit, sondern wäre Vergewaltigung) so tragen sie beide gleichermaßen Verantwortung für die gemeinsame Gesundheit. Nur einer Partei diese Verantwortung umzuhängen und der anderen Partei somit ein falsches Signal zu geben, ist für die Gesundheit aller Beteiligten desaströs.
Das Argument, es sei in Form der Pflichtuntersuchung die “Volksgesundheit” zu schützen, entlarvt sich als in hohem Maße diskriminierend und rückständig, da demnach die Sexworker “schädliche Elemente” für dieses Konstrukt der Volksgesundheit seien. Es ist jedoch sachlich nicht nachzuvollziehen, warum die Gefahr für die Volksgesundheit nur von Sexworkern ausgehen soll, da Krankheiten nicht mehr oder weniger ansteckend sind, wenn Geld den Besitzer wechselt. Demnach wäre es folgerichtig, alle sexuell Aktiven dieser Untersuchung zu unterziehen, nähme man das Konzept der Volksgesundheit tatsächlich ernst. Man könnte den Fokus auch auf die Freier legen und einen “Freierschein” einführen, der die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen erlaubt, was genauso absurd wäre. Sexworker sind nicht kränker als andere vergleichbar sexuell aktive Teile der Bevölkerung, das zeigen alle einschlägigen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema. Und selbst wenn sie es wären, wäre eine Pflichtuntersuchung ohne Behandlung und Befundung nicht das richtige Mittel, um diesen Zustand zu beheben.
Im Zusammenhang mit der Pflichtuntersuchung kommt es überdies immer wieder zu Outings im öffentlichen Raum, da jeder weiß: Wer dort reingeht, ist eine Hure. Schaulustige beobachten und fotografieren mitunter Sexworker, die sich an der Untersuchungsstelle manchmal bis auf die Straße heraus anstellen müssen. Man bekommt anzügliche Bemerkungen zu hören und vereinzelt kam es gar dazu, dass Sexworker von Passanten angespuckt oder verfolgt wurden.
Der Zwang zur Untersuchung gehört abgeschafft, endlich auch in Österreich!
An den Gesundheitsämtern braucht es dagegen freiwillige, niederschwellige, diskriminierungsfreie Untersuchungsmöglichkeiten, die ohne automatisches Outing im öffentlichen Raum auskommen, und die man immer in Anspruch nehmen kann, wenn es notwendig ist. Und zwar MIT Behandlung und Befundung. Dann macht es Sinn, und nur dann.