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Der hippe Hurenversteher

Es ist an der Zeit, einem Interessententypen mal besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, der mir in letzter Zeit gehäuft über den digitalen Weg läuft. Ich nenne ihn den hippen Hurenversteher. Grundsätzlich gehört er in die Kategorie der Timewaster, wenn auch mit etwas Glück was anderes aus ihm werden kann – wie ich im Folgenden erläutern werde. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er „Verständnis“ für die „Situation“ von Sexworkern aufbringt. Er macht sich Gedanken. Er würde gerne „mehr erfahren“. Natürlich geht er davon aus, dass ich ihn gratis treffe, um sein Bedürfnis nach „differenzierten Eindrücken“ und Expertise aus der Innensicht von Sexarbeit zu stillen.

Auf einer Party wäre er jemand, der mit einem Drink in der Hand die ganze Zeit an meiner Seite stünde und sich ziemlich cool vorkäme, weil er mit einer geouteten Sexarbeiterin ur „selbstverständlich“ umgeht. Er möchte sich ein bisschen in dem sonnen, was er für den Glanz des Subversiven hält. Er betont gerne, dass er mich und meinesgleichen „auch als Menschen“ sieht. Danke, voll lieb! Er möchte gelobt werden. Alle sollen sehen, dass er so liberal ist, so aufgeschlossen für „alternative Lebenskonzepte“. Akzeptanz und Toleranz sind seine zweiten Vornamen. Aus seiner Sicht wäre es nur folgerichtig, dass ich umgehend alles stehen und liegen lasse, um mit ihm ein subversives Bündnis einzugehen und ihn in einer Bar im 7. Bezirk zu treffen, wo wir an urban Drinks sippen und vegane Bites snacken. Der hippe Hurenversteher ist sehr höflich. Aus seinen Worten sprechen wirklich Wertschätzung und echtes Interesse.

Doch wie es meine Zunft so will, bleibt es nicht aus, dass ich ihn irgendwann mit der kruden Frage konfrontieren muss: „Äh… und wie war das nochmal gleich, warum sollte ich mich gratis mit dir treffen?“ Darauf folgt eine kaum wahrnehmbare, aber doch etwas entrüstete Nachdenkpause. Er sammelt jetzt die sorgsam abgewogenen Worte, mit denen er mir meinen Benefit von so einem Gratistreffen offenbart: Ich könnte erleben, was mir sonst verwehrt bliebe – echtes Interesse an meiner Person. Echte Bereitschaft, mich zu verstehen, sich in meine Lebenssituation zu versetzen. Endlich also jemand, der sich mal wirklich für mich interessiert! Wow, so ein Glück aber auch! Ein wahrhaft unwiderstehliches Angebot.

Und dann bin ich an der Reihe mit der sorgsam abwägenden Nachdenkpause. Ich versuche, ihm zu verstehen zu geben, dass äh… naja… dass das nun wirklich nichts derart Außergewöhnliches ist, dass sich jemand für mich interessiert. Obwohl sein Ansinnen eigentlich, genau betrachtet, unfassbar arrogant und anmaßend ist, mache ich mir Sorgen, dass ich ihm arrogant und anmaßend erscheine, wenn ich ihm nun in sanften Worten erkläre, dass das eigentlich bei allen meinen Kunden der Fall ist: Die interessieren sich alle für mich. Sonst würden sie mich ja nicht für oft viele Stunden buchen. Das würden sie ohne – gerne frivoles aber deswegen nicht weniger echtes – Interesse an mir als Person ja gar nicht aushalten. Dass ein Drittel meiner Dates komplett sexlos ist, verschweige ich in dieser Situation, weil ich glaube, dass er von dieser Info überfordert wäre. Dass es im Leben einer Sexarbeiterin auch noch eine Welt ohne Sexarbeit gibt – mit Ehemann, Eltern, Kindern, Schule, Hobbies, Sport, Freunden und vielen Menschen, denen gegenüber ich auch als Gesamtperson (inklusive Rollenanteil als Sexarbeiterin) auftrete, liegt mir zwar auf der Zunge, aber das verkneif ich mir – weil ihn mein Privatleben eigentlich nichts angeht, und weil ich mir wünschen würde, dass er mir ein Privatleben einschließlich intimer Beziehungen mit Menschen, die sich ebenfalls WIRKLICH für mich interessieren, ganz selbstverständlich und ungefragt zugesteht. Über mein Privatleben erzähle ich sonst jederzeit gerne was. Wenn es sich ergibt. Aber nicht, wenn ich das Gefühl habe, ich müsse davon erzählen, um dessen Existenz zu beweisen.

Wenn er ein wenig Reflexionsfähigkeit besitzt, dann wird ihm jetzt an dieser Stelle klar, dass er mit seinem Ansinnen auf ein Gratistreffen, welches er für eine solche Wohltat für mich gehalten hatte, drauf und dran war, eines der schlimmsten Vorurteile gegen uns Huren zu wiederholen und zu bestätigen. Nämlich, dass wir keine uns tragenden sozialen Beziehungen hätten, wir völlig einsam und isoliert im Weltraum schwebten, und unsere Kundenkontakte unpersönlich und auf reine Abarbeitung sexueller Abläufe reduziert seien. Es wird ihm jetzt klar, dass er trotz seines hippen Verstehenwollens und Offenseins nicht gesehen hat, dass er die stigmatisierende Zuschreibung der passiven, nicht gestaltungsfähigen, desintegrierten Rolle an uns Huren einfach unreflektiert übernommen hat. Ja, das passiert halt. Dagegen kann man sich kaum wehren. Gesellschaftliche Diskurse sind stark. Da hilft auch alles Hipsein nichts.

Doch wir wollen jetzt nicht zu theoretisch werden. Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, um Netzwerktheorie oder Diskursanalyse zu betreiben. Um die Stimmung wieder zu erden, biete ich stattdessen an, dass wir all das sehr gerne bei einem Date zu meinem Mindesthonorar weiter besprechen können und ich mich darüber sehr freuen würde.

Wieder eine Pause. Diesmal keine Nachdenk-, sondern eher eine Schockpause. Man hört richtig das Schlucken. Örks. Er soll zahlen? Der hippe Hurenversteher, der sich für was Besseres als all die Kunden einer Hure gehalten hat? Dieser Gedanke trifft erstmal auf energisches inneres Abwinken. Eine Frechheit eigentlich, höre ich ihn denken. Naja, das ist der Deal, entgegne ich gedanklich. Menschen bezahlen mich, weil sie sich mit mir austauschen, mich kennenlernen, mir begegnen wollen. So wie du. Und sie haben dafür auch die Option auf guten Sex. So wie auch du, im übrigen. Wenn du willst.

Jetzt muss er sich eingestehen, dass er den Gedanken, für ein Treffen mit einer Frau zu bezahlen, in Wahrheit als Affront empfindet. Das passt so überhaupt nicht in sein Weltbild. Und dann sind wir ganz schnell an dem Punkt, wo er selber sieht, dass sein Blick auf Sexarbeit doch gar nicht so hip und aufgeschlossen und liberal und verständnisvoll ist, wie er dachte. Er findet es schlimm, dass er zahlen soll. Er möchte kein „Kunde“ sein. Wenn es ihn selbst betrifft, ist es nämlich ganz schnell vorbei mit der Toleranz und Akzeptanz. Wenn das auf einmal greifbar und „echt“ zu werden droht, und nicht einmal mehr abgeschwächt ist durch die Vorstellung einer imaginierten Anderswelt, die aus verrauchten rotgeplüschten Puffs, finsteren Kellerlöchern, versifften Autobahnparkplätzen und grindigen Bumsbuden mit Spermaspritzern an den zersprungenen Fliesen besteht… sondern hier und jetzt und ganz konkret, gefährlich “normal”, greifbar nah und seltsam unaufgeregt im Rahmen einer Emailkorrespondenz zur Diskussion steht…. Das ist zu viel, dann ist es ja doch a bissl igitt. Und für eine Schlampe hält er mich auch, habe ich ihm doch wortwörtlich Sex angeboten. Obwohl er das ursprünglich gar nicht wollte! Tsss. Wie kann sie nur?! Und damit bekräftigt er eine ganz und gar unliberale, unaufgeschlossene, hochgradig moralisierende und abwertende Haltung freier weiblicher Sexualität im allgemeinen und Sexarbeit im besonderen gegenüber.

Damit ihm die Einsicht, dass seine Wertmaßstäbe in Wahrheit das Gegenteil dessen sind, wofür er sie gehalten hatte, dass er sich in Wahrheit als verkorkster, engstirniger, intoleranter, arroganter Besserwisser gebärdet hat, der mir gratis Zeit stehlen wollte, nicht so peinlich ist, verpacke ich den Abschluss der Konversation in eine Umkehrung unserer Rollen. Hat er eingangs angeboten (bzw. sich eingebildet), mir mit einem Treffen einen Dienst zu erweisen, so biete ich jetzt an, ihm einen Dienst zu erweisen: Ich biete ein Supervisionsgespräch zur Klärung seiner Wertmaßstäbe. Natürlich gegen Honorar. Das ist der letzte Ausweg, den ich ihm biete, mich zu bezahlen, ohne dass er das Gefühl haben muss, er verliere das Gesicht.

Ich hoffe, er ist nicht allzu sehr Narzisst, der sich jetzt herabgesetzt fühlt, weil ich ihn dazu gebracht habe, sich selbst zu durchschauen. Ich hoffe, der verletzte Stolz schlägt jetzt nicht in Verachtung um. Ich hoffe, er versteht den Schmäh, lacht und sagt einfach amüsiert zu – dann könnte wirklich noch ein nettes Date daraus werden, bei dem es viel zu bereden gibt. Diese Reaktion würde ihn für mich richtig sympathisch und erotisch sehr anziehend machen. Ich mag Menschen, die einlenken können und Ironie verstehen, ohne Argwohn und ohne beleidigt zu sein. Ich würde dann nach der Supervision alles daransetzen, mit ihm zu schlafen. Ja, das könnte wirklich für uns beide eine interessante Begegnung werden! ?

 

5 Kommentare
  1. Thorja von Thardor
    Thorja von Thardor sagte:

    @arizona: Für bestehende Supervisionsklienten wie dich gibt’s Spezialtarif. 😉
    Bin ja bei der Preisgestaltung zum Glück launisch und willkürlich..

  2. Thorja von Thardor
    Thorja von Thardor sagte:

    @Phorus Du brauchst nichts zu zahlen, weil du verstehst mich ja auch nie!
    Das ist nur für Hurenversteher! 😉

  3. robert
    robert sagte:

    Herrliche Sozialstudie! Auch in vielen anderen Bereichen gibt es diesen Typ Mensch…selbsternannte liberale, die sich bei genauem Hinsehen und Nachfragen als das genaue Gegenteil entpuppen 😉

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