Ich versuche normalerweise, meinen Blog nicht mit allzu vielen negativen Beiträgen zu beschmutzen. Doch ein Blick in Boulevardzeitungen lässt mir manchmal keine andere Wahl. Das war beispielsweise der Fall, als Bordellbetreiber sich medienwirksam als Retter der Sexarbeitenden hinstellten und sämtliche betreiberunabhängigen Sexarbeitsformen wie Escort und Straße, mit denen sie nun mal kein G’schäft machen, als Abgrund des Todes diffamierten. Und das ist jetzt der Fall, wenn seitens Polizei wieder mal ein Bild von Wohnungssexarbeit gezeichnet wird, dass der Sau graust.
Was bei uns als Synonym für das Böse und Illegale schlechthin gilt, ist in Staaten wie Deutschland oder England normal. Ganz im Gegenteil wird in England sogar argumentiert, dass die Selbstbestimmung von Sexarbeitenden vor allem dann gegeben ist, wenn sie über die Räume selbst verfügen – also in der eigenen Wohnung ihre Kunden empfangen. Es gibt natürlich, wie in Deutschland, Auflagen für diese Art von Sexarbeit, die von den davon Betroffenen vielfach auch als diskriminierend und unrealistisch kritisiert werden, wie etwa: getrennte WCs für Bewohnerinnen und Kunden, eine hohe Mindestquadratmeteranzahl, Trennung von Arbeits- und Schlafraum und noch vieles mehr. Welche Wohnung ist schon so groß und so gut ausgestattet, dass man diese Bedingungen erfüllen kann? Somit ist in diesen Staaten Sexarbeit in vielen Wohnungen erst recht wieder nicht legal möglich, einfach weil die Bestimmungen zu streng sind. Aber niemand würde auf die Idee kommen, Arbeit in der eigenen Wohnung per se als etwas Verwerfliches zu betrachten.
Bindestrich-Prostitutionen
Bei uns in AT besteht diesbezüglich eine Art Dogma. Wir bekommen das von Anfang an eingetrichtert: “Wohnungsprostitution ist böse”. Interessant ist es auch, diesbezüglich einen Blick auf diese spezielle Syntax zu werfen: Alle Komposita, die auf -prostitution enden sind böse. Es werden hier systematisch Begriffe mittels einer bestimmten Form negativ aufgeladen. Wie beispielsweise: Zwangsprostitution. Kinderprostitution. Armutsprostitution. Da wissen wir alle zu Recht und spontan: Das ist etwas Schlechtes. Geheimprostitution. Straßenprostitution – wenn auch nicht überall illegalisiert doch auch etwas sehr Negatives im gesellschaftlichen Bewusstsein. Beschaffungsprostitution. Drogenprostitution.
Ihr könnt euch sicher sein, sobald Escort illegalisiert wird, heißt er nicht mehr Escort sondern “Begleitprostitution”. Oder “Hotelprostitution”. Gibt´s den Begriff nicht eh schon? Oder “Verschleierungsprostitution”, weil keiner so recht weiß, was man beim Escort eigentlich genau macht. Stimmt, nicht mal ich oder meine Kunden wissen das oft, bevor wir uns treffen.
Und so erging es auch der von Bordellbetreibern unabhängigen Sexarbeit in Privatwohnungen: Sie wurde zur “Wohnungsprostitution”. Und dort geht es nun also so schlimm zu, dass Männer mit Kampfhunden auf die Kunden warten, um sie auszurauben. Wie lächerlich ist das, bitte? Ich habe diesen Artikel auf Facebook und Twitter geteilt, wo ich eher mit der deutschen Community vernetzt bin. Die Reaktionen darauf waren sehr belustigt, aber auch erschrocken. “Huch, was ist denn bei euch los?”, fragte etwa eine Kollegin. Ich wurde auch gefragt, ob ich da nicht vielleicht etwas falsch verstanden haben könnte, denn warum sollte denn Wohnungssexarbeit verboten sein.
Der österreichische Weg
Tja. Österreich eben. Bei uns gibt´s ja auch als einziges Land der Welt eine vaginale Zwangsuntersuchung für Sexarbeitende. Und es gibt eine “Abschlussuntersuchung”. Habt ihr das gewusst? Ja, tatsächlich: Nimmt man das Gesetz ganz ernst, dann muss man sich einer abschließenden Untersuchung unterziehen, wenn man mit der Sexarbeit aufhören will. Was das soll, oder was geschieht, wenn man das nicht tut, versteht niemand. Soll das bedeuten, ich darf erst dann aufhören, Geld zu verlangen, sobald ich mich dieser Untersuchung unterzogen habe? Solange ich nicht bei dieser Untersuchung war, darf ich keinen privaten Sex haben, oder wie? Muss ich dann von meinem Freund Geld verlangen und das steuerwirksam nachweisen? Darf ich nur aufhören, wenn mir “Gesundheit” bescheinigt wurde? Sonst muss ich weitermachen? Oder ist das Ergebnis eh wurscht, um aufhören zu dürfen? Warum aber dann überhaupt eine “Abschlussuntersuchung”? Bullshit. Schlicht und ergreifend: Bullshit.
Aber dort will ich jetzt eh gar nicht hin. Lasst uns zurückkehren zum Herrn Hofrat Langer und seinem fadenscheinigen Schulterschluss mit von Kampfhunden bedrohten Kunden. Das ist ja auch so ein supertoller Trick. Durch das Heucheln von Solidarität mit den Kunden sollen diese ermutigt werden, Sexarbeiterinnen zu verraten, die nicht den widersprüchlichen, einengenden Gesetzen entsprechen. Das gibt er sogar ganz offen zu, wenn er sein Argument gegen das nordische Modell anführt: Der Grund, Freierbestrafung abzulehnen, liegt für ihn nämlich mitnichten in Interessen von uns Sexarbeitenden, etwa dass uns dann angenehme Kunden abhanden kommen und tendenziell jene übrigbleiben, denen die Kriminalisierung egal ist. Nein, Freier dürfe man vielmehr deswegen nicht kriminalisieren, weil sie sonst der Polizei ja nicht mehr gefahrlos verraten können, was sie alles “Illegales” gesehen haben. Schlau. Sehr schlau, uns gegeneinander auszuspielen. Apropos schlau:
Vom Schlausein zur Schläue
Ein noch viel niederträchtigerer Griff ins Klo ist es, Selbstbestimmung und Eigenorganisation der Frauen als “Straßenschläue” zu bezeichnen. Was hat er sich da nur für ein spannendes, geradezu subversives Wort ausgedacht! Wären die Frauen abhängig von Zuhältern, dann wären sie vor allem eins: Klein und abhängig, Opfer mit einem Wort. Aber nein, Zuhälter gibt es kaum noch, sagt Langer himself. Die Frauen organisieren sich Unterstützung selbst. Aber anstatt das wertzuschätzen, anstatt zu sehen, dass diese Frauen zunehmend Selbstbestimmtheit erlangt und sich von Zuhältern emanzipiert haben, nennt er dies “Straßenschläue”. Ein Substantiv aus dem Adjektiv “schlau” gibt es ansonsten nur in “Bauernschläue”. Das soll wohl eine bewusste Analogie sein. Herr Hofrat scheint linguistisch interessiert! Mit “Schläue” konstatiert man jemandem zwar eine gehobene Denkleistung, die aber so einseitig auf den eigenen Vorteil bezogen ist, dass das ganze wieder dumm und insgesamt negativ wird. Es stecken darin Konnotationen von Gerissenheit, Verschlagenheit und Durchtriebenheit. Gerade letztere wird Frauen, die auf sich selbst schauen, kulturell sehr gerne unterstellt.
Wer nun Bauernschläue an den Tag legt, ist zwar etwas einfältig, weiß sich aber für seine eigenen Zwecke mit diversen Tricks gut durchzusetzen. Man kann ihn sich vorstellen, den Bauernschlauen, wie er sich schweinsäugig ausrechnet, wie er den Bürgermeister am besten übers Haxl haut und sich alles zum eigenen ökonomischen Vorteil ausrechnet – die einzig höhere Denkleistung, zu der er imstande ist, dies aber brilliant. Alles andere, woraus er keinen Vorteil für sich ziehen kann, interessiert ihn nicht, ist ihm zu hoch. Die Straßenschlaue sollen wir uns nun ebenso vorstellen: Eine Frau, durchtrieben, ehrgeizig, verschlagen, nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Jetzt kommt aber das gänzlich Unverständliche: Warum eigentlich Straßenschläue und nicht Wohnungsschläue, wenn es doch hier gegen die Wohnungsprostitution geht? Weil: Bullshit. Schlicht und ergreifend Bullshit.
Journalistisches Scheitern
Der größte Bullshit ist aber, dass im gegenständlichen Boulevardartikel wohl wieder mal Hausbesuche (also Escort, eine legale Sexarbeitsform, zumindest im Osten Österreichs) mit Wohnungsprostitution verwechselt oder gleichgesetzt wurde. Anders ist wohl nicht zu erklären, warum in dem Artikel der Mord an einer Escortdame in Zusammenhang mit der verbotenen Wohnungsprostitution gestellt wird. Diese Unterscheidung ist eine, an der JournalistInnen so gut wie immer scheitern. Und dann kommt vor allem eins heraus: Bullshit. Schlicht und ergreifend Bullshit.
Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand des Themas erbarmt und diesen “Prostituiertenmord” als solchen benennt. Natürlich muss er in den Kontext eines “Milieus” gesetzt werden, wo das anscheinend eh a bissl wahrscheinlich ist, dass sowas mal passiert. Braucht man sich nicht wundern. Ich hätte gerne bitte ab sofort einen ebenso groß aufgemachten Artikel, oder gar eine Reportage über die Gefahren der Ehe oder generell über die heterosexuelle Partnerschaft, und zwar bei jedem einzelnen Femizid im Kontext von Privatbeziehungen. Aber nein, die Ehe, das ist doch was Gutes. Ja, das würden wir gerne glauben. Doch die Ehe oder Partnerschaft endete dieses Jahr in Österreich für Frauen nun schon wie oft tödlich? 33 mal, 34 mal? Wir haben ein veritables Problem mit Besitzansprüchen an Frauen und mit Männern, die sich in irgendeiner Weise von Frauen herabgesetzt oder in ihrem eingebildet hegemonialen Bestimmenwollen eingeschränkt fühlen.
Der Mord in Ternberg ist ebenso ein Femizid. Irgendetwas ging eben nicht nach den Vorstellungen des Täters. Es ist doch völlig egal, aus welchem Grund diese Frau dorthin gegangen war. Fakt ist: Sie wurde auf bestialische Weise getötet. Mit Bissen in die Vulva und in die Brüste gefoltert, sodass sie erstickt ist, weil sie vor unvorstellbaren Qualen erbrach und ihr Erbrochenes und ihr Blut einatmete. Ja, das tut weh, wenn man es schreibt und liest, schrecklich weh. Ganz schnell weiterschreiben will ich, wenn diese Worte mir von der Tastatur rollen. Will gar nicht zurückschauen auf meine eigenen Zeilen. Unvorstellbar ist das. Das Weibliche musste der Täter zerstören, den Körper an seinen weiblichen Attributen kaputtmachen. Das hat nicht das Geringste damit zu tun, dass sie Sexarbeiterin war. Ein derart unaussprechlicher Hass auf Weiblichkeit hat etwas viel Grundsätzlicheres mit unseren Geschlechterverhältnissen zu tun. Niederträchtig ist es daher, dass dieser Mord nun herhalten muss dafür, dass Sexarbeit wieder mal in ein bestimmtes Licht gerückt wird. Macht das doch auch mit der Ehe! Zigmal hättet ihr dazu allein dieses Jahr schon Gelegenheit gehabt! Aber nein, nur die Sexarbeit ist es, über die man dann wieder süffisant schreiben kann, wie “straßenschlau” die Frauen doch sind, wenn sie sich selbst schützen müssen, weil Polizei und Justiz versagen, indem sie die zu Schützenden mit unsinnigen Verboten und Strafen traktieren und verfolgen – das Dümmste überhaupt.
Im Konjunktiv
Zusammenfassend möchte ich etwas wiederholen, auf das ich eigentlich immer hinaus will, wenn ich mich über sowas echauffiere: Die Rechtslage ist in Österreich einengend, und das ist für Sexarbeitende sehr gefährlich. Es ist kaum möglich, immer und überall “legal” zu sein, egal wie man sich bemüht. Oftmals wissen die Behörden selbst gar nicht, welche Form von Sexarbeit in ihrem Bundesland nun eigentlich erlaubt ist oder nicht. Es gibt auch Grauzonen, die nicht eindeutig definiert sind. Ausnahmslos jede Sexarbeiterin kommt irgendwann mal in Situationen, wo man auf “illegalisierte” Sexarbeitsformen zurückgreift.
Beispiel, bitte durchgehend im Konjunktiv lesen: Wenn mich ein Kunde, den ich aus Wien gut kenne, auf ein Overnight in Salzburg einlüde und mir dafür ein gutes Honorar böte – dann müsste ich die Einladung ablehnen, weil ich damit eine Verwaltungsübertretung beginge. Dieser Kunde würde sich dann wohl denken, so eine blöde Kuh, die buch ich in Wien auch nicht mehr. Warum sollte ich also ablehnen? Niemals würde jemand von meiner Verwaltungsübertretung erfahren, und ich behielte den Kunden. Also selbstverständlich wäre ich hochmotiviert, diese gut bezahlte Buchung durch einen bekannten, angenehmen Kunden anzunehmen! Ich wüsste aber gleichzeitig, dass ich jetzt vulnerabel bin und das Recht nicht mehr auf meiner Seite steht. Gäbe es dann irgendein Problem, könnte ich die Polizei schon nicht mehr rufen, ohne mich selbst zugleich zu bezichtigen. Und das wissen auch Arschlöcher. Nicht, dass Arschlöcher zu meinen Kunden zählten, aber aus Lebenserfahrung weiß ich doch: Es gibt sie!
Der Geist, den ihr gerufen habt
Ab hier Konjunktiv Ende: In allen Kontexten, in denen man illegalisiert arbeitet, ist man nun Arschlöchern auf Gedeih und Verderb ausgesetzt. Arschlöcher können dann gratis Service erpressen. Oder Sexpraktiken, die man sonst ablehnt. Wenn man nun so leicht erpressbar ist, liegt es auf der Hand, sich selbst dagegen zu schützen, wenn man schon das Gesetz nicht auf seiner Seite hat. Der Mann mit dem Kampfhund ist ein Sinnbild dafür, was alles nicht funktioniert. Wenn es den tatsächlich irgendwo gibt, dann nur aus einem Grund: Diese Frau braucht ihn, weil sie sonst Arschlöchern ausgeliefert ist und sie von der Polizei keine Hilfe erwarten kann. Der Mann mit dem Kampfhund, das ist der Geist, den ihr selbst gerufen habt, und der euch jetzt als Vorwand dient, uns mit weiteren Einschränkungen noch abhängiger zu machen. Doch umso mehr ihr uns mit Verboten traktiert, umso realer wird das Bild von diesem Geist. Und umso mehr könnt ihr ihn beschwören. Das habt ihr echt super hingekriegt, gratuliere.
Realität findet statt. Immer.
Sexarbeit und alle ihre Formen sind Realität. Genauso wie Abtreibung. Es ist weibliche Realität. Es geht in beiden Fällen darum, was man Frauen erlaubt, mit ihrem Körper zu machen. Nicht umsonst ist männliche Sexarbeit überhaupt nicht so groß Gegenstand von Verfolgung und Regulierung. Das liegt nicht daran, dass Männer in der Sexarbeit wenige an der Zahl sind, sondern daran, dass man ihnen zugesteht, dass ihnen das schon irgendwie Spaß macht und dass sie wissen, was sie tun. Bei Frauen aber meint man, sie durch Verbote und Vorschriften bis ins Pervertierte (Hineinschauen in Körperöffnungen durch Behörden) kontrollieren zu müssen. Doch Realität findet immer statt. Durch Einschränkungen und Verbote werden weder Sexarbeitsformen noch Abtreibung verhindert. Sie werden dadurch nur gefährlicher:
Stigma kills.