Das Telefon
„Warum telefonierst du nicht?!“
„Ruf mich doch bitte zurück!“
Die einen schätzen es über alle maßen, dass man mit mir nicht telefonieren MUSS. Die anderen verstehen nicht, dass man mit mir nicht telefonieren KANN, wie mit vielen anderen Anbieterinnen. Tja. Ich versteh es manchmal auch nicht ganz. Und da es immer wieder mal Unverständnis bis hin zu Aufregung zu diesem Thema gibt, und ich mich in regelmäßigen Abständen in der Situation wiederfinde, mich dafür regelrecht rechtfertigen zu müssen, schreib ich meine Beweggründe dazu einfach mal auf. Vielleicht finde ich dann ja doch bei dem einen oder anderen Verständnis dafür, dass ich um eine schriftliche Nachricht bitte.
Ganz am Anfang, in den ersten Tagen meines Sexwork-Daseins, hatte das Nicht-Telefonieren ja ganz pragmatische Gründe. Ich führte ein Doppelleben. Entsetzlich! Zwei Handies, zwei Identitäten. Eigentlich sogar drei Handies (privat, dienstlich, sexwork), aber egal. Um mit meinen Kunden zu kommunizieren, musste ich auf einen Kommunikationskanal zurückgreifen, der maximal diskret war: Ein Handy, das keinen Ton von sich gibt, dessen Display man so einstellen kann, dass es niemals wegen einer eingehenden Nachricht aufleuchtet. Ein Handy, auf das man verstohlen hinunterschielt, während man es unter dem Teambesprechungstisch halb aus der Tasche holt. Mittlerweile führe ich – Gott sei Dank! – kein Doppelleben mehr. Ich bin in meinem Umfeld 100% geoutet und muss mich nicht mehr verstecken. Muss auf keine Handies mehr runterschielen. Und besitze mittlerweile wieder nur zwei Handies. Was für eine Erholung! Doch auch jetzt bestehen nach wie vor mehrere gute Gründe, nicht zu telefonieren und alles schriftlich zu vereinbaren.
Da wäre zuallererst einmal das Administrative:
WANN soll ich bitteschön bloß telefonieren? Wenn ich zuhause bei meiner Familie bin? In Anwesenheit Minderjähriger Details des Dates von heute Abend besprechen? Oder soll ich mich für jedes Telefongespräch irgendwo im Haus verstecken? Unser Haus ist zwar groß und böte ein paar Verstecke, aber… nö, ned bös sein, mach ich nicht. Oder soll ich etwa telefonieren, wenn ich in Dates bin? Das wäre ja mega unhöflich meinem aktuellen Kunden gegenüber, oder? Hmm… dann bliebe noch die Zeit zwischen Zuhause und Date: Wenn ich im Auto sitze. Ok. Da hab ich manchmal wirklich telefoniert. Aber: Da kann ich nicht auf den Kalender schauen. Bzw. nur unter größter Unfallgefahr. Auch blöd also. Apropos Kalender: Im Auto kann ich ja auch nur deshalb auf den Kalender schauen (natürlich nur in eingeparktem Zustand!), weil die Freisprecheinrichtung dies ermöglicht. Würde ich aber außerhalb des Autos telefonieren, könnte ich ja wieder nicht auf den Kalender zugreifen, weil dieser sich ebenfalls im Handy befindet. Ein unlösbares Dilemma!
Aber abgesehen von diesen administrativen Problemen, die mir das Telefonieren bereiten würde, gibt es da noch ganz andere Gründe, die mich auf schriftliche Kommunikation bestehen lassen:
Erstens einmal läutet das Telefon rund um die Uhr, wenn man es für Anrufe erreichbar macht. Es läutet um 1 Uhr nachts, es läutet um 3 in der Früh genauso wie um 13 Uhr oder um 15 Uhr. Die Zahl der Anrufe wäre völlig unbeeinflusst von der Uhrzeit. Allein schon die schiere Anzahl an Anrufen könnte niemand auf der Welt bewältigen. Und, das muss ich schon auch sagen… diejenigen, die da anrufen, unabhängig von Uhr- und Tageszeit… sind in den meisten Fällen keine Menschen, mit denen man sich tatsächlich ein Date wünschen würde, um es mal so auszudrücken. Allein schon die Notwendigkeit, dass eine schriftliche Nachricht notwendig ist, fungiert als effektiver Filter gegen Leute, die sich in illuminiertem Zustand um 3 Uhr früh einen „spontanen Hausbesuch“ wünschen, oder ähnliche Späße. Das sind Leute, die nie einen Blick auf meine Webseite geworfen haben, die sich nie mit meiner Präsentation beschäftigt haben. Die sehen nur irgendwo die Telefonnummer und rufen schon an.
Ich sehe im Protokoll meiner abgewiesenen Anrufe ja auch immer, dass da immer wieder Leute anrufen, die ich schon lange blockiert hab. Mit denen es eine Auseinandersetzung gab. Die eigentlich wissen müssten, dass es zwischen uns GANZ SICHER NED passt. Aber das ist denen wurscht – die sehen die Nummer, und wählen schon. Das bedeutet: Würde ich Anrufe undifferenziert zulassen, dann hätte ich IMMER WIEDER auch die an der Strippe, die bei mir schon lang auf der Blacklist stehen. Ich müsste mich immer wieder auf Streitereien einlassen. Nicht gut für die seelische Ausgeglichenheit.
Ein weiterer großer Nachteil des Telefonierens ist, dass unangenehmes Verhalten mehr oder weniger ungefiltert zu mir durchdringt. Wenn jemand was Blödes schreibt, ist mir das relativ wurst. Das ist ein Text, eine Nachricht, den/die ich nicht unbedingt auf mich beziehe. Bzw. kann ich das gut steuern, was davon ich auf mich beziehe. SAGT jemand aber was Blödes ins Telefon, hat das schon eine andere Qualität. Das Gesprochene ist direkter und hängt länger nach. Bei mir zumindest. Es muss ja auch nicht unbedingt unangenehm sein. Aber aaaaaaanstrengend….. ermüüüüdend kann es sein. Kürzlich habe ich den ganzen Gürtel lang, also echt von Spittelau bis zum Hauptbahnhof, mit jemandem telefoniert. In diesem Gespräch entsponn sich ein Hin und Her über ein Latexoutfit. Ich habe derzeit kein Latexoutfit. Latex ist mir egal, interessiert mich nicht, finde ich nicht schön. Ich habe in diesem Gespräch versucht, zu verdeutlichen, dass es wohl zielführender ist, der Interessent bucht mich eben ohne Latexoutfit – oder er bucht eine Kollegin MIT Latexoutfit. Alles andere ist zu kompliziert. Aber, hin und her, dies und das, vielleicht ausleihen, oder dort was anschauen, oder da was anpassen lassen, oder in einem Mietstudio fragen, was die für Garderobe haben, oder zu einer anderen Domina gehen um was auszuborgen…. OIDA! Wenn ich jetzt diese Strecke fahre, denke ich dauernd „LATEX LATEX LATEX“. Das ist einfach zermürbend. Und sinnlos. Man redet sich den Mund futzlig, aber was man sagt, kommt nicht an. Hätten wir über das Thema geschrieben, dann hätt ich wohl einfach nur gesagt: „Nö, hab kein Latex, sorry“. Und mit allem weiteren hätte ich mich nicht mehr beschäftigt. Und der Gürtel wäre jetzt für mich kein Latexgürtel.
Weiteres Beispiel: Kürzlich habe ich mit jemandem telefoniert, der sich für eine BDSM-Session interessiert hatte. Wir hatten – aus meiner Sicht – echt schon einen guten Draht zueinander. Er schilderte mir seine Wünsche, ich schilderte, wie wir das umsetzen könnten usw. Irgendwann nannte ich das Honorar und erklärte noch ein paar Besonderheiten, als mir plötzlich auffiel, dass ich die ganze Zeit schon ein Selbstgespräch führte. Der Gesprächspartner hat offenbar einfach aufgelegt, als er das Honorar gehört hatte. Sowas ist einfach zutiefst respektlos und ärgerlich. Also ich bin noch nicht so abgebrüht, dass mich sowas NICHT ärgert. Das kann man vermeiden, das muss man sich nicht antun – indem man sich für so ein Verhalten nicht mehr erreichbar macht. Es geht in diesem Beispiel eh auch wieder um das Thema, dass ungutes Verhalten viel stärker, direkter und persönlicher rüberkommt, wenn man telefoniert, als wenn man schreibt.
Andere Male, schon vor längerer Zeit, haben Anrufer ganz plötzlich und unvermittelt irgendwas ins Telefon geschrien und dann aufgelegt. Also eins kann ich euch versichern: So eine niederschwellige, für ALLES und JEDEN zugängliche Telefonnummer ist echt das letzte, was man braucht. Ihr müsst euch ja vorstellen: Diese Telefonnummer steht im Internet, auf allen Werbeportalen. Die ganze Welt sieht diese Nummer und weiß zumindest, dass da irgendein Sexangebot damit verknüpft ist. Alles Menschliche, was man sich vorstellen kann – und vor allem auch was man sich NICHT vorstellen kann, kann da also anrufen. Es ist gibt nichts, was es nicht gibt.
Ein weiterer großer Nachteil des Telefonierens besteht in der für mich unlösbaren Frage, wie ich das denn bloß alles dokumentieren soll, was da gesprochen wird? Wie soll ich mir merken, was da alles vereinbart wird? Da müsste ich mir Notizen machen. Besonders Rollenspiele und Sessions folgen oft beinahe einem Drehbuch. Unmöglich, das im Kopf zu behalten. Ich müsste nach dem Gespräch ein Gedankenprotokoll anfertigen. Wenn ich im Auto telefoniere, müsste ich dazu dann extra irgendwo stehenbleiben, damit ich so wenig wie möglich vergesse. So ein Aufwand ist nicht zumutbar.
Und das ist zugleich der große Vorteil der schriftlichen Anbahnung: Man kann nichts vergessen. Vor dem Date lese ich noch einmal unseren Nachrichtenverlauf – und bin sofort genau richtig eingestimmt. Das funktioniert perfekt!
Und, last not least: Ich habe den Eindruck, in schriftlicher Kommunikation bei weitem besser zwischen den Zeilen lesen zu können. Beim Reden kann ich das nicht so gut, weil ich abgelenkt bin – von vielen Gedanken. Wie zb: „puh, hoffentlich bin ich schlagfertig genug, wenn der jetzt unhöflich wird“ etc. Ich bin beim Telefonieren wahrscheinlich zu sehr mit Selbstwahrnehmung beschäftigt, was mich natürlich von der Konzentration auf Zwischentöne meines Gesprächspartners ablenkt. Darum bin ich wahrscheinlich auch unauthentisch beim Telefonieren. Und der Realtimefaktor macht mir Stress. Alles Gesagte wird in Echtzeit gesagt und verarbeitet. Beim Schreiben dagegen kann man sich ganz in Ruhe was überlegen. Da kann man ganz in Ruhe eine Nachricht auf sich wirken lassen und entscheiden, ob und wie man sie beantwortet. Das ermöglicht mir ein viel stressfreies, ruhigeres Arbeiten. Ich bin dadurch beim Lesen/Schreiben gleich grundsätzlich positiv gestimmt.
Tja, also das waren jetzt mal ganz quick and dirty meine wichtigsten Beweggründe, warum ich mich gegen das Telefonieren entschieden hab und voll auf die Magie des geschriebenen Wortes setze! Das Handy ist zum Schreiben und zum Fotos machen! Also her mit euren Nachrichten!
Can call all you want but there´s no one home – and you´r not gonna reach my telephone!
Zum Thema übrigens super passend:
?
Wannst mich anrufst, sag ich Dir, wie recht Du hast. Aber ich werd nicht abheben, weil ich am Gürtel im Auto in einer Teambesprechung mit meinen minderjährigen Familienmitgliedern sein werde. Aber schreiben will ich Dir das auch nicht … also werd ich dir das persönlich sagen müssen. Darf ich Dich anrufen, um einen Termin zu vereinbaren? ?
Hallo? Hast du was gesagt? Ich hör immer nur LAAAAATEX!
Sorry I cannot hear you I’m kinda busy.